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Verabredung mit dem Tod

 

 

Der Tote lag verdeckt unter einem Busch, der recht dicht hinter dem 
Bahnwärterhaus wuchs. Schleifspuren ließen vermuten, dass der
Täter ihn dorthin gezogen hatte, um ein schnelles Auffinden der
Leiche zu verhindern. Man sah Beine in verwaschenen Jeans
und Füße in weißen Joggingschuhen der Marke Nike, schätzungsweise
Größe 43. Der Mann lag auf dem Rücken. Als Maikes
Blick zu seinem Kopf wanderte, bekam sie einen Schreck. Und
das lag nicht nur am Eintrittsloch des Schusses, der ihn wie bei
einer Hinrichtung mitten in die Stirn getroffen hatte. Sie erkannte
den Toten, der inzwischen höchstens 25 Jahre alt gewesen
sein dürfte. Sie hatte gegen ihn ermittelt. Wegen seines großkotzigen
Auftretens und seines auffälligen Narzissmus war er ihr
unsympathisch gewesen. Soweit sie sich erinnerte, handelte es
sich um einen ihrer ersten Fälle, den sie nach ihrem Wechsel
vom PP Dortmund in der Dienststelle Unna bearbeitet hatte.
Damals war Achmed Tahiri etwa 17 Jahre alt gewesen.

 

 

 

Produktinformation

 

  • Herausgeber ‏ : ‎ Prolibris; Originalausgabe Edition (15. Mai 2024)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Taschenbuch ‏ : ‎ 333 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3954752603
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3954752607

 

Klappentext:

Der Tahiri mal wieder! So jung Achmed Tahiri auch ist, die Liste seiner Straftaten ist lang. Schon als Jugendlicher steht er als Mitglied einer gewaltbereiten Bande vor Gericht. Er sitzt eine Jugendstrafe ab. Bekommt in der Autowerkstatt seines Bruders einen Ausbildungsplatz und damit die Chance auf ein geregeltes Leben. Er nutzt sie nicht. Verlegt sich aufs Dealen. Wird ein zweites Mal bestraft. Und schon kurz nach seiner Haftentlassung bekommt das Team von Maike Graf erneut mit ihm zu tun. Doch anders als die Kriminalhauptkommissarin vermutet hätte …

 

Leseprobe:

Kapitel 1

Vor etwa acht Jahren

An manchen Tagen wünschte Jakob sich, er wäre tot. Heute war wohl so ein Tag. Er hatte die schlimmste Schulstunde erlebt, die man sich vorstellen konnte. Alles war schiefgelaufen und er hatte sich vor der Klasse blamiert. Nur mit Mühe hatte er die Tränen zurückgehalten. Jetzt fing es auch noch zu regnen an. Er begann zu laufen und kam ins Schwitzen. Der Schulrucksack drückte unangenehm auf seinem Rücken. Allein der Laptop, den er jeden Tag zur Schule schleppen musste, wog fast zwei Kilo. Dazu kamen die fetten Bücher für Geschichte und Erdkunde und
der andere Kram, den er für die Schulstunden in der sechsten Klasse brauchte. Obendrauf heute noch die Sporttasche. Früh morgens, wenn es vom Busbahnhof bis nach Königsborn bergab ging, war es um diese Jahreszeit selbst mit Winterjacke arschkalt, da machte ihm der Weg nichts aus. Aber jetzt, wo er sich beeilen musste, um den Bus nicht zu verpassen, lief ihm der Schweiß den Rücken hinunter.
Scheißnovember. Scheißtag. Scheißleben.

Während er zwischen anderen Schülermassen die Hammer Straße hinaufeilte, dachte er an seinen Geschichtslehrer Heimbach,der ihn vor der Klasse zur Sau gemacht hatte. Dieser Blödarsch! Hast du dich denn gar nicht auf das Referat vorbereitet, Jakob? Witzig! Total witzig! Die letzten Nachmittage hatte er bis spät abends an seinem Teil des Vortrags gesessen und versucht, den ganzen Mist auswendig zu lernen. Die Expansion Roms zum Großreich. Wozu musste man sich diesen Dreck ins Gehirn pflastern? Jakob hatte nicht vor, in seiner Zukunft irgendwas mit Geschichte zu machen. Der dämliche Heimbach konnte sich das Imperium Romanum sonst wo hinschieben. Wieso hatte Björn ihn heute Morgen bloß hängengelassen? Er hatte versprochen, nach seinem Zahnarzttermin zur dritten Stunde in der Schule zu sein. Am Ende der großen Pause hatte er ihn angeschrieben, dass er doch nicht komme, er habe ultraschlimme Schmerzen. Deshalb musste Jakob das Referat in der
Geschichtsstunde allein halten. Das hatte ihn so aus der Bahn geworfen, dass er seinen Teil auch nicht mehr auf die Kette bekommen
hatte. Irgendwie war sein Hirn plötzlich wie leer gefegt gewesen. Er hatte gestottert und war rot angelaufen. Verdammter Mist.

Jakob hatte gerade den Kreisverkehr passiert und kämpfte sich die letzte Steigung Richtung Busbahnhof hoch, als er hinter sich laute Stimmen hörte. Gekicher, Gegröle, blöde Sprüche. Er sah sich gehetzt um. Oh nein! Die Asi-Bande hatte ihm noch gefehlt. Er beschleunigte seine Schritte und blieb dicht bei einer Gruppe Mädchen, die bestimmt schon in die Oberstufe gingen. Irgendwie musste es ihm gelingen, seinen Bus zu erwischen, bevor die Asis ihn …

»Hey, Jakob! So lonely? Wo ist ’n dein Kumpel?«, rief eine helle Stimme hinter ihm.

Scheiße! Das war ein Mädchen aus der Bande. Jakob umrundete die Oberstufenschülerinnen vor ihm und begann zu laufen. Der Schulrucksack wippte auf seinem Rücken schwer hin und her. Er keuchte. Nach einigen Metern war er nass geschwitzt. Endlich erreichte er die letzte Kurve vor der Bahnunterführung, danach war es nicht mehr weit bis zum Busbahnhof.

»Mach doch mal low gas, Junge!« Achmeds Stimme hörte sich verdammt nah an. Trampelnde Schritte. Die Bande lief ihm hinterher.

Jakob sah sich gehetzt um, kam ins Stolpern, konnte sich noch fangen. Die beiden Mädchen der Gang lachten. Er rannte über die Straße, gleich
kam die Abbiegung zur Unterführung. Das musste er einfach schaffen. Im selben Moment spürte er eine Hand am Griff seines Schulrucksacks. Er wurde zurückgerissen und Achmed stand rechts neben ihm. Auf der linken Seite tauchte Kevin, der Anführer auf. Die Mädchen und ein weiterer Junge drängten sich dicht hinter ihn. Jakob schaute sich panisch um. Warum half ihn niemand? Die Oberstufenschülerinnen gingen bereits zur Unterführung. Andere Passanten beachteten ihn nicht. Er wollte um Hilfe schreien, aber seine Kehle war wie zugeschnürt. Die
Bande schubste ihn in Richtung der Bahngleise auf einen Parkplatz. Plötzlich war er allein mit den fünf Asis, die so um die 15, 16 Jahre alt waren und ihn alle um mindestens einen Kopf überragten. Der Parkplatz wurde von Bäumen und Büschen sowohl von der Straße als auch zu den Gleisen abgegrenzt. Es standen nur wenige Autos darauf. Achmed schubste ihn vorwärts, bis sie die parkenden Fahrzeuge hinter sich gelassen hatten. Eine S-Bahn fuhr mit lautem Getöse vorbei. Sie erreichten eine Nische, in der ein alter Container aufgestellt war. Dorthin wurde Jakob getrieben, bis er mit dem Rücken gegen kaltes Metall knallte.

»Sein Rucksack is krass schwer«, behauptete Achmed. »Hilf dem Intelligenzallergiker mal, Chantal, und nimm ihm das Teil ab!«

Das blonde Mädchen kam auf ihn zu und ließ ihre Finger mit den schwarzlackierten Nägeln über seine Wange gleiten. Dann trat sie ihm mit voller Wucht vors Schienbein. Jakob schrie vor Schmerz laut auf. Wieso half ihm niemand?

»Jetzt hast du ihm wehgetan, Chantal«, meinte Achmed mit falscher Freundlichkeit. »Nimm ihm endlisch den Rucksack ab.«

»Klaro!« Das Weib himmelte ihren Freund an und trat erneut zu.

Jakob krümmte sich vor Schmerz. Der Schulrucksack wurde ihm vom Rücken gerissen, Chantal öffnete ihn und kippte den Inhalt auf den staubigen Schotter. Da er sein Etui nur fahrig verstaut hatte, purzelten Stifte, Radierer, Anspitzer und Geodreieck auf den Boden. Achmed zog den Laptop aus dem separaten Fach. »Der bringt bestimmt ’nen Hunni«, stellte er zufrieden fest und klemmte ihn sich unter den Arm. Chantal trat erneut zu, diesmal in die Kniekehle. Jakob sackte zusammen und fiel hin. Ein weiterer Tritt traf ihn in die Seite.

»Los! Jetzt rück die Kohle raus! Wir wollen ’nen Turn machen.«

Als er den Kopf schüttelte und schwieg, holte sie mit dem Fuß aus und trat mit voller Kraft in seinen Bauch. Dann ging sie neben ihm in die Hocke und zerrte den Ärmel seiner Jacke hoch. »Sieh an, ’ne krasse Watch.« Sie öffnete den Verschluss und zog das Band von seinem Arm. 

»Bitte nicht!«, keuchte Jakob. »Die ist von meinem Opa!« Er war so stolz gewesen, als er die Uhr zu seinem 11. Geburtstag im März bekommen hatte. Es war Opa Peters letztes Geschenk, bevor er im Sommer an einem Herzanfall gestorben war.

»Die ist von seinem Opa!«, sagte Chantal mit gespieltem Bedauern und schleuderte das Band um ihren Zeigefinger.

»Lass den Scheiß!«, blaffte Kevin und schnappte sich die Uhr. »Wenn er die von so ’nem alten Sack gekriegt hat, ist sie bestimmt
wertvoll.« Er ließ sie in seiner Hosentasche verschwinden. »Wo ist dein Handy?«

»Ich hab keins!«, flüsterte Jakob. »Das habt ihr mir letztes Mal abgenommen. Das nächste bekomme ich erst zu Weihnachten.«

»Der arme Kleine.« Chantal kicherte.

»Durchsucht seine Jacken- und Hosentaschen. Vielleicht hat er noch Kohle bei sich.« Kevin starrte den Jungen an, dessen Namen Jakob nicht kannte. »Na los, jetzt zeig mal, was du draufhast!«

»Gerne!« Der blasse Typ beugte sich über ihn. Mit festem Griff packte er ihn an den Handgelenken und zerrte ihn auf die Füße. »Wäre besser, du rückst dein Zeug raus. Sonst gibt es auf die Fresse.«

Jakob schüttelte den Kopf. Sofort bog der andere ihm die Arme auf den Rücken, hielt sie mit einer Hand zusammen, während er ihm die Taschen durchsuchte. Jakob zitterte, seine Knie wurden weich und er atmete auf, als der Junge ihn losließ. Nur um ihn ruckartig rumzureißen und ihn mit einem gezielten Stoß zu Boden zu zwingen. Ihm liefen Tränen an den Wangen herab. Er konnte sie nicht unterdrücken. Er hatte Angst. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er Todesangst. Ein überhebliches Grinsen lag auf dem Gesicht des blassen Jungen. Wortlos beugte er sich über Jakob, zog den Reißverschluss seiner Jacke auf und durchsuchte die Innentasche. Er zog einen Zwanzigeuroschein heraus, grinste noch breiter und reichte Kevin das Geld. Danach boxte er Jakob nochmals mehrfach in die Seite und stand auf. »Von dem Zwanziger können wir uns Energy und Kippen holen.«

»Gute Idee!«, rief Chantal. »Netto oder Rewe?«

»Netto ist näher, außerdem wollen sie beim Rewe immer ’nen Ausweis«, meinte Achmed.

»Beim Netto auch«, erwiderte Chantal. »Kevin ist der Babo!«

»Netto ist näher, hab isch gesagt, Schlampe!« Er warf seiner Freundin einen bösen Blick zu, griff nach Jakobs Sportbeutel und zog den Reißverschluss auf. Hastig kippte er das Sportzeug in den Staub, verstaute den Laptop in der Tasche und hängte sich den Riemen über die Schulter. »Was is? Wollt ihr auf die Bullen warten?«

Jakob blieb rücklings liegen und hielt die Luft an. Bloß nicht noch einmal die Aufmerksamkeit erregen.

»Dann eben Netto«, murrte Chantal. Sie blickte Jakob an. In ihren Augen blitzte Wut auf, die wohl gegen Achmed gerichtet war, die sie aber an Jakob auslassen würde. Im selben Moment trat sie ihn mit voller Wucht in die Seite. »Verwöhnte Yuppie-Brut! Kriegst alles in den Arsch geschoben, kleiner Bastard! Erbärmlicher Feigling!« 

Jakob wälzte sich herum und krümmte sich vor Schmerz. Der nächste Tritt traf ihn in den Rücken. Wieso ließ die blöde Kuh ihn nicht einfach in Ruhe? Er schluchzte.

»Lass gut sein, Chantal«, sagte das andere Mädchen, das sich bislang aus allem herausgehalten hatte. »Achmed ist mit Kevin
schon an der Straße.« Schritte entfernten sich. Jakob hob vorsichtig den Kopf. Die beiden Mädchen und der blasse Junge liefen hinter ihren Freunden her. Die Dunkelhaarige sah sich noch mal um und hob bedauernd die Schultern. Jakob rieb sich die Tränen aus den Augen. Mühsam rappelte er sich auf. Seine Jeans und seine Winterjacke waren völlig verdreckt. So gut es ging, klopfte er sich den Staub von der Kleidung. Sein ganzer Körper schmerzte, jede Bewegung tat höllisch weh. Er bückte sich, sammelte seine Bücher, Hefte und den Taschenrechner ein, schmiss Stifte, Radierer, Anspitzer und Geodreieck ins Etui. Danach packte er alles in den Schulrucksack, obendrauf stopfte er das Sportzeug. Die Schnürsenkel der Turnschuhe band er um den Tragegriff. Dann zog er den Reißverschluss der Jacke zu und setzte den Schulrucksack auf den Rücken. Gut, dass er sein neues Handy nach dem Sport in der letzten Stunde in eine Socke gestopft hatte. Da hatten es die Asis nicht gefunden.

Langsam humpelte er vom Parkplatz und auf die Unterführung zu. Eine Straßenmusikantin spielte auf einem Akkordeon und lächelte ihn freundlich an. Jakob konnte nicht lächeln. Er hinkte weiter, vorbei an der Rückseite des Rathauses und am Haupteingang des Bahnhofs und erreichte endlich den Busbahnhof. Auf den nächsten Bus würde er noch etwas warten müssen. Er setzte sich auf eine Bank und verschränkte die Arme vor der Brust. Nach einer Weile spürte er sein Smartphone am Bein vibrieren. Bestimmt seine Mutter, die sich Sorgen machte. Jakob
bückte sich und zog das Telefon aus der Socke. Ein verpasster Anruf, tatsächlich von seiner Mutter. Ehe er ihr antworten konnte, hörte er die Stimme von Chantal.

»Hey, der kleine Loser hat doch ein Handy!«

Jakob sprang auf. Die Asi-Bande erreichte gerade den Busbahnhof. In den Händen hielten sie Energydrinks und brennende Zigaretten. Wie dumm er gewesen war. Er wusste doch, dass die Gang ihren Treffpunkt auf einer der Bänke am Busbahnhof hatte. Hier passten sie oft ihre Opfer ab. Chantal begann zu laufen. Im selben Moment sah Jakob, dass sein Bus kam. Er rannte auf den Halteplatz zu. Die Türen öffneten sich. Eine Frau mit Kinderwagen stieg aus, dahinter stand eine ältere Dame mit Stock. Chantal hatte ihn fast erreicht. Jakob stopfte das Handy in die linke Jackentasche, zerrte seine Fahrkarte aus der rechten. Endlich war die Alte raus. Er sprang in den Bus, zeigte dem Fahrer seine Karte und setzte sich auf einen der mittleren Plätze. Chantal schlug wütend mit der flachen Hand an die Fensterscheibe. Jakob konnte sich ein erleichtertes Grinsen nicht verkneifen. Die Türen des Busses gingen mit einem Zischen zu. Mutig hob er seine kleine Hand an die Scheibe und zeigte der Asi-Göre den Mittelfinger.

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